Eingriffe ins Mietrecht
Ein Leitfaden insbesondere für gewerbliche Mieter*innen und Vermieter*innen
Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie sind für Mieter*innen und Vermieter*innen derzeit nicht kalkulierbar. Sicher scheint nur so viel: Die Auswirkungen sind verheerend. Vielen Betrieben bricht dringend benötigte Liquidität beispielsweise aufgrund von Betriebsschließungen weg. Gerade im Bereich der Gewerberaummiete wird die Liquiditätslage der betroffenen Gesellschaften jedoch durch die fortlaufenden Mietverbindlichkeiten erheblich belastet.
Um hier eine Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie zu erreichen, wurde am 27.03.2020 das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht im Bundesgesetzblatt verkündet. Das Gesetz sieht daher für Mieter*innen, deren Leistungsvermögen unter den Folgen der Corona-Pandemie leidet, einen befristeten und bedingten Kündigungsschutz vor.
Das aktuelle Tagesgeschehen rund um die Ankündigungen großer Unternehmen, für die nächsten Monate für die eigenen Mietobjekte keine Zahlungen leisten zu wollen, wirft eine Reihe von Fragen auf. Nachstehend wollen wir ausgewählte Fragen ‑ nach derzeitigem Stand der Dinge ‑ beantworten und Hilfestellungen geben:
1. Welche Mieter*innen profitieren von dem Kündigungsschutz?
Das Gesetz gilt umfassend für Wohnraummieter*innen und gewerbliche Mieter*innen von Räumen oder Grundstücken. Ebenso sind Pächter*innen einschließlich Landpächter*innen vom Kündigungsschutz begünstigt.
2. Was bedeutet Kündigungsschutz/Kündigungseinschränkung?
Das Gesetz sieht vor, Kündigungen von Mietverhältnissen seitens des/der Vermieters/Vermieterin aufgrund von Zahlungsverzug vorübergehend auszuschließen. Das bedeutet, dass der/die Vermieter*in weder eine ordentliche Kündigung aus berechtigtem Interesse (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB) wegen etwaiger Mietrückstände aus der Zeit 1. April 2020 bis 30. Juni 2020, noch eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB) vornehmen kann, die auf einem Zahlungsverzug im Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 beruht.
Hinweis:
Die Pflicht zur Zahlung der Mieten aus der Zeit 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 besteht unverändert fort. Lediglich das Recht der Vermieter*innen zur Kündigung aufgrund der in diesem Zeitraum entstandenen Mietrückstände entfällt.
3. An welche Voraussetzungen ist dieser Kündigungsschutz im Streitfall geknüpft?
Die Nichtleistung der Mieten aus dem Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit der Mieten muss auf den Auswirkungen der Corona Pandemie beruhen. Der Zusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und der Nichtleistung ist von dem/der Mieter*in glaubhaft zu machen.
Hinweis:
Zahlungsfähige aber zahlungsunwillige Mieter*innen fallen nicht in den Schutzbereich. Diesen Mieter*innen kann trotzdem noch wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden. Sofern der/die Mieter*in den Zusammenhang mit der Corona-Pandemie nicht nachweisen kann, begibt sich dieser somit bei Nichtleistung in die Gefahr einer außerordentlichen Kündigung.
Tipp für Mieter*innen:
Aufgrund dessen ist es notwendig, dass der/die Mieterin seine Liquiditätsengpässe bei dem/der Vermieter*in anzeigt.
Tipp für Vermieter*innen:
Zeigt der/die Mieter*in an, bedingt durch die Corona-Pandemie in Liquiditätsengpässen zu stecken, sollte er eine entsprechende Glaubhaftmachung von dem/der Mieter*in verlangen.
4. Welche Anforderungen werden an den Nachweis des Beruhens der Auswirkungen der Corona-Pandemie gestellt?
Nach den Angaben des BMJV (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz) kann der/die Mieter*in zur Glaubhaftmachung insbesondere folgende Nachweise erbringen:
- Versicherung an Eides statt,
- Nachweis der Antragstellung bzw. die Bescheinigung über die Gewährung staatlicher Leistungen,
- Bescheinigung des Arbeitgebers,
- Nachweise über das Einkommen bzw. über den Verdienstausfall,
- bei Gewerbeimmobilien: Vorlage behördlicher Verfügung über die Betriebsuntersagung oder -einschränkung (insbesondere bei Gaststätten und Hotels).
Zur Glaubhaftmachung reicht es aus, wenn die Nichtleistung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit der Corona Pandemie steht. Es sollten daher nicht zu strenge Anforderungen an Nachweise gestellt werden. Gleichwohl sehen wir hier einen zukünftigen Konfliktpunkt.
6. Inwieweit ist der Kündigungsschutz zeitlich befristet?
Der Kündigungsschutz für nicht geleistete Zahlungen aus dem Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 ist zeitlich bis zum 30. Juni 2022 befristet.
Hinweis:
Um einer Kündigung aufgrund von Zahlungsrückständen aus der Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 zu entgehen, muss der/die Mieter*in diese Zahlungsrückstände bis zum 30. Juni 2022 zurückgeführt haben.
7. Sind Kündigungen mit anderweitigen Kündigungsgründen weiterhin möglich?
Das Gesetz schließt nur Kündigungen wegen Zahlungsverzugs im Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 aus. Demnach berechtigt das Vorliegen aller anderen Kündigungsgründe den/die Vermieter*in auch weiterhin dazu, Kündigungen auszusprechen. Zum Beispiel sind weiterhin Eigenbedarfskündigungen, sowie auch grundlose, ordentliche Kündigungen von Gewerbemietverhältnissen nach § 580a Abs. 1, 2 BGB möglich. Ebenso ist eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs möglich, die sich auf den Zeitraum fehlender Zahlungen vor dem 1. April 2020 bezieht. Die fehlende Leistungsfähigkeit spielt also nur im Zeitraum des 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 eine Rolle, um die Kündigungseinschränkung auszulösen.
8. Was ist von der „Miete“ im Schutzzeitraum konkret umfasst?
Mit Miete sind die Grundmiete und laufende Betriebs- und Nebenkosten gemeint (insbesondere Betriebskostenvorauszahlungen oder Betriebskostenpauschale). Zur Miete zählen auch Untermietzuschläge, Zuschläge für gewerbliche Nutzung oder die besonders vereinbarte Vergütung für die Überlassung von Einrichtungsgegenständen.
9. Kann ich trotzdem in Zahlungsverzug geraten und zur Zahlung von Verzugszinsen und -schäden verpflichtet sein?
Ja! Durch das Gesetz werden die Mieter*innen nicht von ihrer Zahlungsverpflichtung zur Miete/Pacht befreit, d. h. Mietzahlungen müssen trotzdem noch erbracht werden. Wenn diese ausbleiben, kann ihnen lediglich nicht gekündigt werden. Unterbliebene Mietzahlungen müssen bei wieder eintretender Leistungsfähigkeit nachgeholt werden. Für die Begleichung dieser offenen Mietverpflichtungen bleibt den Mieter*innen maximal Zeit bis zum 30. Juni 2022. Bis dahin gilt das Gesetz über den Kündigungsschutz. Tritt das Gesetz mit Ablauf des 30. Juni 2022 außer Kraft, so sind Kündigungen wegen Zahlungsverzuges auch im betroffenen Zeitraum 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 wieder möglich. Da die Zahlungsverpflichtung weiterhin besteht, kann der/die Mieter*in auch in Verzug geraten und damit zur Zahlung von Verzugszinsen und -schäden verpflichtet sein.
a) Vermieter*innen:
Als Vermieter*in steht ihnen weiterhin die Möglichkeit zu, auf Mietzahlung sowie Zahlung von Verzugszinsen und -schäden zu klagen (siehe Frage 14). Es ist zu beachten, dass nur die Kündigungsmöglichkeit für einen Zahlungsverzug im Zeitraum 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 bis zum 30. Juni 2022 aufgehoben ist. Trat dagegen Zahlungsverzug z. B. in den Monaten Juli und August 2020 ein, so besteht bereits seit September 2020 wieder eine Kündigungsmöglichkeit wegen Zahlungsverzugs.
b) Mieter*innen:
Mieter*innen müssen beachten, dass seit Juli 2020 die Kündigungsmöglichkeit wegen Zahlungsverzug wieder besteht. Das Mietverhältnis kann zwar nicht für einen Zahlungsverzug im Schutzzeitraum 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 gekündigt werden, ist der/die Mieter*in aber über den Schutzzeitraum hinaus nicht dazu in der Lage, seinen laufenden Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, kann der Mietvertrag wegen eines Zahlungsverzuges in einem späteren Zeitpunkt gekündigt werden.
10. Habe ich ein Leistungsverweigerungsrecht bezüglich meiner Mietzahlungsverpflichtung?
Ein Leistungsverweigerungsrecht, wie es für Dauerschuldverhältnisse nach § 1 des Artikels 240 EGBGB vorgesehen ist, gilt nur für vertragliche Verpflichtungen, die der Grundversorgung dienen wie Telekommunikations-, Strom- und Gasleistungen. Miete und Pacht sind davon ausgenommen worden, sodass ein Leistungsverweigerungsrecht nicht besteht.
a) Vermieter*innen:
Vermieter*innen sollten daher beachten, dass der/die Mieter*in nicht per Gesetz zur vorübergehenden Stundung oder Leistungsverweigerung berechtigt ist. Dies spielt einerseits eine Rolle für den Verzugs(-schaden), andererseits für Zahlungsklagen. Hätte der/die Mieter*in ein Leistungsverweigerungsrecht oder wäre er zur Stundung berechtigt, könnte er nicht in Verzug geraten, da er die Leistung zu Recht erst verspätet erbringen würde. Dadurch, dass aber nach der aktuellen Gesetzeslage die Zahlungsverpflichtung unberührt bleibt, ist ein Zahlungsverzug möglich und damit die Zahlung von Verzugszinsen und -schäden bei Inanspruchnahme weiterhin verpflichtend.
b) Mieter*innen:
Mieter*innen sollten im Hinterkopf behalten, dass Verzugszinsen und -schäden anfallen können und aller Voraussicht nach auch werden. Die Nichtleistung sollte daher gründlich durchdacht werden, da bei hohen Mietverpflichtungen auch hohe Zinszahlungen fällig werden könnten. Eine mögliche Lösung für dieses Problem könnten hier einzelvertragliche einvernehmliche Vereinbarungen mit dem/der Vermieter*in über die Verzugsfolgen darstellen.
11. Kann von den gesetzlichen Vorgaben abgewichen werden?
Eine Abweichung durch Individualvereinbarung vom Kündigungsschutz ist nicht möglich. Sowohl Vereinbarungen, die vor der Corona-Pandemie geschlossen wurden, als auch solche, die währenddessen geschlossen wurden, sind, sofern sie sich in Widerspruch zu den neuen gesetzlichen Vorgaben setzen, nicht wirksam.
Tipp für Mieter*innen:
Mieter*innen sollten beachten, dass Kündigungen, die den Kündigungsgrund des Zahlungsverzugs (im vorgenannten Schutzzeitraum) beinhalten und sich dabei nicht auf gesetzliche Rechtsgrundlagen berufen, sondern auf vertragliche Vereinbarungen stützen, ebenso unwirksam sind und das Mietverhältnis daher nicht beenden können.
12. Kann die Höhe des Mietzinses an die aktuelle Lage angepasst werden?
Dies kommt stets auf die vertragliche Ausgestaltung des Mietverhältnisses an. Rechtlich ist die Befreiung von der Miete gem. § 326 Abs. 1 BGB möglich, wenn es dem/der Vermieter*in unmöglich ist, dem/der Mieter*in den vertraglich geschuldeten Gebrauch einzuräumen. Auch eine Anpassung des Mietzinses über § 313 BGB ist denkbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH trägt aber grundsätzlich der/die Mieter*in das Verwendungsrisiko der Mietsache. Das Instrument des § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) darf nicht die gesetzliche Risikoverteilung aushöhlen.
Insbesondere der/die gewerbliche Mieter*in ist danach selbst für die Erfolgsaussichten seines Unternehmens verantwortlich. Der Gesetzgeber hat aber durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht lediglich die Kündigung ausgeschlossen. Die Zahlungsverpflichtungen sollen gerade weiterhin bestehen bleiben. Daraus ist zu schließen, dass der Gesetzgeber nichts an der bisherigen Risikoverteilung ändern, sondern lediglich die Folgen dieser Verteilung abfedern möchte. Angesichts der aktuellen Umstände erscheint eine Neuverteilung des Risikos jedoch angebracht, da die einseitige Abwälzung der wirtschaftlichen Folgen auf den/die Mieter*in ggf. nicht mehr als sachgerecht anzusehen ist und über § 313 BGB ein Werkzeug besteht, welches eine Anpassung ermöglichen könnte.
13. Stellt eine behördliche Nutzungsuntersagungsverfügung einen Mietmangel dar, der zur Mietminderung berechtigt?
Besteht ein Mietmangel im Sinne des § 536 BGB, der den Gebrauch der Mietsache beeinträchtigt, so ist der/die Mieter*in berechtigt, die Miete eigenmächtig herabzusetzen. Für den Fall, dass behördliche Nutzungsuntersagungsverfügungen einen Mietmangel darstellen können, würde dies bedeuten, dass Mieter*innen, deren Betriebe behördlich geschlossen bleiben müssen, ihren vertragsgemäßen Gebrauch gänzlich nicht mehr in Anspruch nehmen dürfen und daher ggf. zu umfassenden Mietminderungen berechtigt sein könnten.
Allerdings ist auch hier zu beachten, dass das Verwendungsrisiko der Mietsache grundsätzlich auf Seiten des/der Mieters/Mieterin liegt. Der/die Vermieter*in ist grundsätzlich dazu im Stande, dem/der Mieter*in den Gebrauch einzuräumen. Der/die Mieter*in ist ebenso im Stande, die Mietsache zu gebrauchen. Der vertragsgemäße Gebrauch wird hier durch einen Umstand gestört, der nicht durch die Parteien selbst verursacht wurde. Genau hier wird die gesetzliche Risikoverteilung relevant. In der aktuellen Lage geht diese zu Lasten des/der Mieters/Mieterin, sofern sie nicht in Anbetracht der akuten Krise durch den Gesetzgeber oder durch die Rechtsprechung im Wege des Grundsatzes von Treu und Glauben neu geordnet wird. Die damit befassten Gerichte verneinen jedoch bisher einen Mangel an der Mietsache wegen coronabedingten Schließungen.
Tipp:
Sofern eine einvernehmliche vertragliche Lösung zwischen den Parteien hinsichtlich einer Mietminderung vermittelbar erscheint, ist dieser Weg aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheiten vorzugswürdig.
14. Sind Mietzinsklagen und Vollstreckung gegen den/die Mieter*in noch möglich?
Da das Gesetz die Mietzahlungsverpflichtung unberührt lässt und diese daher fortbesteht, sind auch Klagen gerichtet auf Zahlung des Mietzinses weiterhin möglich. Insbesondere wurde durch das Gesetz in Bezug auf Miet- und Pachtzahlungen auch kein Leistungsverweigerungsrecht begründet, sodass dem/der Mieter*in auch ‑ sofern keine anderen Leistungsverweigerungsrechte oder Einwände vorliegen ‑ keine Verteidigungseinwände in diesem Sinne zustehen.
Vermieter*innen können Zahlungsklage erheben oder sich durch bestehende Sicherheiten befriedigen. Auch wenn der/die Mieter*in sich mit dem Einwand wehrt, er sei nicht hinreichend zahlungsfähig, würde dies in Bezug auf die Zahlungsklage irrelevant sein. Ebenso sind durch den Gesetzgeber keine vollstreckungsrechtlichen Schutzregelungen zugunsten des/der Mieters/Mieterin erlassen worden, weshalb dieser bei erfolgreicher Zahlungsklage auch etwaige Vollstreckungsmaßnahmen zu dulden hat.
Hinweis:
Erlangt der/die Vermieter*in Zahlungen zum Beispiel im Wege der Zwangsvollstreckung, besteht für den/die Vermieter*in in einem gegebenenfalls folgenden Insolvenzverfahren des/der Mieters/Mieterin ein hohes Anfechtungsrisiko dieser Zahlungen durch den/die Insolvenzverwalter*in. Hier kommt es jedoch auf die Umstände des Einzelfalls an.
Stand: 30.08.2021