Blogbeitrag
17.01.2024

In der Praxis mehren sich die Fälle zu dem Themenkomplex „Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“.

von
Maha Steinfeld

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG Köln) sah sich in einer neueren Entscheidung aus dem August 2023 mit der dabei häufig vorkommenden Frage konfrontiert, inwiefern die zeitliche Koinzidenz einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und einer Eigenkündigung dazu führen kann, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Das Urteil knüpft an die neuere Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus dem Jahr 2021 an und wird durch ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Dezember 2023 ergänzt und bestätigt.

Sachverhalt (LAG Köln)

Nach einem Personalgespräch am 18.01.2022 erklärte die klagende Arbeitnehmerin am 19.01.2022 ihre Eigenkündigung zum 28.02.2022. Zusätzlich verabschiedete sie sich von ihren Kollegen, gab ihr Diensthandy zurück und packte ihre persönlichen Sachen zusammen. Gleichzeitig mit ihrer Eigenkündigung reichte sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) für den Zeitraum vom 19.01.2022-02.02.2022 ein, welche danach bis zum 16.02.2022 verlängert wurde. Die Klägerin kehrte am 17.02.2022 zurück an ihren Arbeitsplatz und nahm anschließend Erholungsurlaub bis zum 23.02.2022. Nachfolgend war die Klägerin vom 24.02.2022 bis zum 31.03.2022 wieder krankgeschrieben und befand sich in einer Klinik zwecks stationärer Behandlung.

Mit dem Argument, dass der Beweiswert der AUB erschüttert sei, weil diese den Zeitraum der Kündigung „passgenau“ abdecken würde, zahlte die Beklagte die Vergütung lediglich bis zum letzten Arbeitstag sowie für den Zeitraum des Erholungsurlaubes.

Die Klägerin erhob Klage auf Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit. Sie machte u. a. geltend, dass sie seit längerer Zeit an einer psychischen Belastungsstörung leide, welche durch das Personalgespräch am 18.01.2022 erneut ausgebrochen sei.

Entscheidungsgründe (LAG Köln)

Das LAG Köln gab der Arbeitnehmerin im Ergebnis Recht. Grundsätzlich gilt nach der Rechtsprechung, dass eine die Kündigungsfrist „passgenau“ abdeckende AUB dazu geeignet ist, den Beweiswert der AUB zu erschüttern. Allerdings war im vorliegenden Fall - so das Gericht - von den dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht auszugehen. Das ergab sich zum einen aus der medizinischen Vorgeschichte der Klägerin, die bereits in der Vergangenheit unter einer psychischen Belastungsstörung litt. Diese sei durch das der Kündigung vorausgegangene Personalgespräch erneut ausgebrochen. Zudem war durch den von der Klägerin genommenen Erholungsurlaub (17.02.2022-23.02.2022) der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit unterbrochen. Der Einwand der „passgenauen“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung griff demnach nicht durch. Zusätzlich sprach gegen eine „passgenaue“ Bescheinigung in dem entschiedenen Fall, dass der stationäre Aufenthalt der Klägerin bis zum 31.03 andauerte und folglich einen Monat länger als das Ende der Kündigungsfrist (28.02.) fortbestand.

Auch die Rückgabe des Diensthandys und die Verabschiedung von den Kollegen am letzten Tag vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit vermochte den Beweiswert der AUB in dem entschiedenen Fall nicht zu erschüttern. Es wurde als nachvollziehbar angesehen, dass die Klägerin das Diensthandy erst im Januar 2022 erhalten hatte und es wenig sinnvoll erschien, dieses für den Zeitraum der Kündigungsfrist noch zu nutzen. Zudem erschien es naheliegend, dass die Klägerin aufgrund ihrer medizinischen Vorgeschichte davon ausgehen durfte, für einige Zeit arbeitsunfähig zu sein.

Ausblick

Die Entscheidung des LAG Köln reiht sich in die neuere Rechtsprechung des BAG ein, welche mit einem der Entscheidung des LAG Köln nachfolgenden Urteil des BAG vom 13.12.2023 bestätigt wurde. Das BAG weist in dieser aktuellen Entscheidung darauf hin, dass es für die Erschütterung des Beweiswertes einer AUB grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob eine Kündigung durch den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer erfolgt. Stets erforderlich sei eine Betrachtung des Einzelfalls und eine Gesamtwürdigung der Umstände. Die zeitliche Koinzidenz einer Kündigung und einer AUB vermag den Beweiswert - so das Gericht - in beiden Fällen grundsätzlich zu erschüttern. Liege eine zeitliche Koinzidenz vor und mangele es an für den Arbeitnehmer „entlasteten“ Umständen, die die zeitliche Koinzidenz der AUB erklären könnten, treffe den Kläger für den Zeitraum die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit i. S. d. § 3 Abs. 1 EFZG. In dem von dem BAG entschiedenen Fall war eine AUB vor Kenntnis der Kündigung eingereicht worden und das Gericht sah daher den Beweiswert für diesen Zeitraum nicht als erschüttert an. Jedoch enthielten die nach der Kündigung eingereichten Folgebescheinigungen eine "passgenaue“ Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit für die Dauer der Kündigungsfrist; zudem nahm der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung auf. Hier war der Beweiswert - so das Gericht - für den Zeitraum der Folgebescheinigungen aufgrund der zeitlichen Koinzidenz erschüttert und den Arbeitnehmer traf daher die volle Darlegungs- und Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit.

Der Arbeitgeber ist zusammenfassend gut beraten, in Fällen einer Kündigung mit zeitgleicher Einreichung einer AUB die Umstände des Einzelfalles genau zu ermitteln.

 

Quellen: LAG Köln, Urteil vom 10.08.2023 - 6 Sa 682/22 | BAG, Urteil vom 13.12.2023 - 5 AZR 137/23 - nur die Pressemitteilung vorhanden.
Der Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Fabio Althaus (stud.jur.) verfasst.

 

Über die Autorin: Maha Steinfeld ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der PKF FASSELT Partnerschaft mbB Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft Rechtsanwälte (Mitgliedsunternehmen des PKF-Netzwerkes).

zurück