Blogbeitrag
Erscheinungsdatum 07.06.2023

von
Dr. Johannes Hochgürtel

Das Aktienrecht einerseits und das Insolvenzrecht andererseits haben jeweils eigene Bestimmungen, nach denen Vermögensvorteile zurück gewährt werden müssen, wenn diese unrechtmäßig - hieran knüpft das Aktienrecht an - bzw. unentgeltlich - hieran knüpft das Insolvenzrecht an - gewährt wurden. Ebenso bestimmen beide Rechtsgebiete jeweils Ausnahmefälle, in denen dies nicht der Fall ist, die Vermögensverschiebung also nicht rückgängig zu machen ist. Der BGH hat in einer jüngst ergangenen Entscheidung (Urt. v. 30.03.2023, Az. IX ZR 121/22) klargestellt, dass die beiden Rückforderungs­ansprüche (§ 61 Abs. 1 AktG einerseits und § 134 Abs. 1 InsO andererseits) rechtlich unabhängig voneinander sind. Das heißt, dass im Insolvenzfall die insolvenzrechtliche Anfechtung auch dann möglich ist, wenn die aktienrechtliche Rückforderung nicht gleichzeitig begründet ist. Gleiches dürfte auch umgekehrt gelten, dass also im Insolvenzfall die aktienrechtliche Rückforderung möglich ist, auch wenn die Anfechtung nach Insolvenz­recht nicht zulässig wäre.

Im vorliegenden Fall waren von einer Aktiengesellschaft Dividenden an ihre Aktionäre ausgezahlt worden. Die diesen Zahlungen zugrunde liegenden Gewinnverwendungs­beschlüsse wurden später, nachdem die Aktiengesellschaft in Insolvenz gegangen war, vom Insolvenzverwalter erfolgreich angefochten. Die Gewinnverwendungsbeschlüsse wurden damit in ihrer Rechtswirkung beseitigt. Ungeklärt war, ob die Gewinnverwendungs­beschlüsse bereits im Zeitpunkt der Dividendenzahlung nichtig waren oder nicht. Im Gerichtsverfahren geklärt worden war aber: Erkennbar für die Aktionäre war der spätere Wegfall der Gewinnverwendungsbeschlüsse jedenfalls nicht. Die Aktionäre waren deshalb gegenüber einer aktienrechtlichen Rückforderung (die auch vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann) geschützt: § 61 Abs. 1 Satz 2 AktG beschränkt die (aktienrechtliche) Rückforderung der Dividende ausdrücklich auf den Fall, dass der Aktionär wusste (bzw. infolge vorwerfbarer Fahrlässigkeit nicht wusste), dass der Dividendenbezug unbe­rechtigt war. Diese Kenntnis lag hier eindeutig nicht vor.

Dennoch hielt der BGH die insolvenzrechtliche Anfechtung der Dividendenzahlung für möglich: Nach § 134 Abs. 1 InsO kommt es hierfür nämlich nur darauf an, dass die Zahlung bis zu vier Jahre vor der Insolvenzeröffnung „unentgeltlich“ erfolgt ist. Unentgeltlich in diesem Sinne ist eine Dividende, deren Grundlage als Gewinnverwendungsbeschluss nie gegeben war. Dies wäre hier der Fall gewesen, wenn die erfolgreiche Anfechtung der Gewinnver­wendungsbeschlüsse zu deren Nichtigkeit von Anfang an geführt hätte. Zwar hätten die Aktionäre im Zeitpunkt des Dividendenempfangs von der fehlenden Rechtsgrundlage der Dividendenzahlung nichts gewusst und hätten hiervon auch gar nichts wissen können bzw. müssen. Aber eine Privilegierung - so wie im Aktienrecht bei fehlender Kenntnis - gibt es gegenüber der insolvenzrechtlichen Rückforderung nicht.

Der BGH hat nun klargestellt: Auch wenn mangels Kenntnis vom unwirksamen Gewinnverwendungsbeschluss die aktienrechtliche Rückforderung ausgeschlossen ist, ist die insolvenzrechtliche Rückforderung wegen Unentgeltlichkeit dennoch möglich. Die beiden Tatbestände haben im Verhältnis zueinander keine „negative Sperrwirkung“. Somit dürfte auch im umgekehrten Fall gelten: Auch wenn die Bereicherung nicht fortbesteht und damit die insolvenzrechtliche Anfechtung eigentlich ausgeschlossen ist (z. B. weil die Dividende in der Spielbank „verjubelt“ wurde), kann die Dividendenzahlung dennoch vom Insolvenzverwalter nach aktienrechtlichen Vorschriften zurückgefordert werden.

Ein Weiteres hat der BGH für den insolvenzrechtlichen Anspruch klargestellt: Eine Dividen­denzahlung wird nicht dadurch unentgeltlich, dass nachträglich der Gewinn­verwendungsbeschluss wegfällt. Nur wenn bereits im Zeitpunkt der Dividendenzahlung kein Beschluss bestand, ist die insolvenzrechtliche Voraussetzungen der Rückforderung, die Unentgeltlichkeit, erfüllt. Deswegen kam es hier auf die Frage der Beseitigung „von Anfang an“ durch den Insolvenzverwalter (d. h. die Beschlüsse waren bereits ursprünglich unwirksam) oder der bloßen Anfechtbarkeit an, weswegen der BGH die Sache letztlich nicht entschieden und zurückverwiesen hat.

 

Über den Autor: Dr. Johannes Hochgürtel ist Rechtsanwalt/Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht bei der PKF FASSELT Partnerschaft mbB Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft Rechtsanwälte (Mitgliedsunternehmen des PKF-Netzwerkes).

zurück