Nach einem kürzlich bekanntgewordenen Vorlagebeschluss des BFH (vom 19.10.2023 IV R 13/22) hat das BVerfG die Frage zu klären, ob sog. „Unterschiedsbeträge“ unter dem Tonnagesteuerregime bei unentgeltlicher Rechtsnachfolge rückwirkend bis 01.01.1999 aufgelöst werden dürfen.
Der Fall
Eine Tochter hatte 2003 bzw. 2007 Anteile an einer Schifffahrts-KG von ihren Eltern geschenkt bekommen. Die Schifffahrts-KG ermittelte ihren Gewinn im Streitjahr 2013 nach der im internationalen Verkehr eingesetzten Tonnage (sog. „Tonnagesteuer“).
Für die Eltern war in der noch weiter zurückliegenden Vergangenheit ein sog. „Unterschiedsbetrag“ auf die o.g. Anteile festgestellt worden. Dieser Unterschiedsbetrag entspricht den auf den jeweiligen Gesellschaftsanteil entfallenden stillen Reserven zu jenem Zeitpunkt, als die Schifffahrts-KG von der normalen Gewinnermittlung zur Tonnnagesteuer gewechselt war. Der Unterschiedsbetrag ist u.a. bei entgeltlichem Gesellschafterwechsel oder wenn das Schiff veräußert wird, aufzulösen und zu besteuern. Nach ganz h.M. und traditioneller Praxis der Finanzverwaltung löste eine unentgeltliche Rechtsnachfolge in einen Personengesellschaftsanteil jedoch keine Auflösung des Unterschiedsbetrags aus. Daher waren die Unterschiedsbeträge seit den Schenkungen vom Finanzamt für die Tochter festgestellt und erst bei Verkauf des Schiffs im Jahr 2013 aufgelöst worden.
Nach entgegenstehender Rechtsansicht des BFH aus den Jahren 2019 und 2020 (Urteile vom 28.11.2019, IV R 28/19 sowie vom 29.04.2020, IV R 17/19) stand jedoch fest, dass bereits im Moment der Schenkung die Unterschiedsbeträge aufzulösen und bei den Eltern zu besteuern gewesen wären. Für jene lange zurückliegenden Jahre konnten jedoch keine geänderten Steuerbescheide mehr ergehen.
Im Jahr 2021 wurde daraufhin das Einkommensteuergesetz geändert: Seitdem gehen Unterschiedsbeträge im Fall der unentgeltlichen Übertragung eines Mitunternehmeranteils auf den Rechtsnachfolger über. Das Gesetz ordnet dabei an, dass dies bereits seit Beginn der Geltung des Tonnagesteuerregimes in Deutschland zum 01.01.1999 gelten soll.
Gegen diesen zuletzt erwähnten Anwendungsbefehl des Gesetzes wandte sich nun die erwähnte Tochter und argumentierte in ihrer Klage und Revisionsklage, dass die rückwirkende Gesetzesänderung nicht verfassungsgemäß sei.
Der BFH-Beschluss
Der BFH hält die Argumentation der Klägerin für stichhaltig und legt die Frage, inwieweit die rückwirkende Anwendung verfassungskonform sei, dem BVerfG zur Entscheidung vor. Schon der Auszug aus der Pressemitteilung des BFH ist bemerkenswert:
„Nach Ansicht des BFH verstößt die Neuregelung gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Es liege eine echte Rückwirkung vor, die verfassungsrechtlich durch keine der bislang vom BVerfG anerkannten Fallgruppen gerechtfertigt sei. Insbesondere habe der Gesetzgeber nicht zulässigerweise eine Rechtslage rückwirkend festgeschrieben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprochen habe. Zwar habe es über einen langen Zeitraum eine einheitliche Verwaltungspraxis gegeben, die bei unentgeltlichen Übertragungen inhaltlich der jetzt rückwirkend in Kraft gesetzten Neuregelung entspreche. Diese Auffassung der Finanzverwaltung sei aber zu keinem Zeitpunkt von der Rechtsprechung geteilt worden. Unerheblich sei, ob die Klägerin aufgrund der veröffentlichten Verwaltungsmeinung (ggf.) nicht darauf habe vertrauen können, die Unterschiedsbeträge nicht versteuern zu müssen. Denn verfassungsrechtlich sei das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Verlässlichkeit der durch den Gesetzgeber geschaffenen und in die durch die Gerichte für richtig erkannte Rechtslage schutzwürdig, nicht aber ein Vertrauen in die veröffentlichte Verwaltungsauffassung. Wollte man dies anders sehen, könnte die Finanzverwaltung die Gesetzesauslegung stark vorprägen und die nach der Verfassung allein den Gerichten anvertraute rechtsprechende Gewalt inhaltlich nachhaltig beschneiden. Denn der Gesetzgeber könnte in derartigen Fällen eine ihm nicht genehme Auslegung eines Gesetzes durch die Rechtsprechung auch mit echter Rückwirkung im Sinne der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ändern.“
Fazit
Was sollten Sie nun tun, wenn Sie einen unterschiedsbetragsbehafteten Personengesellschaftsanteil unentgeltlich erworben haben?
Grundsätzlich gilt:
- Findet/fand die unentgeltliche Übertragung 2021 oder später statt, ist die o.g. Rückwirkungsproblematik ohne Belang, sofern nicht die materielle Regelung insgesamt vom Gericht „gekippt“ werden sollte.
- Bei einer davor liegenden Übertragung spielt eine Rolle, inwieweit es nach der o.g. Übertragung einen (anderen) Tatbestand gibt bzw. gegeben hat, der zu einer Auflösung des Unterschiedsbetrags führt bzw. geführt hat - so z.B. den Rückwechsel aus der Tonnagesteuer oder den Verkauf des Schiffs.
- Ist bzw. wird die Auflösung des Unterschiedsbetrags noch nicht durch einen anderen Tatbestand ausgelöst, sollte in den meisten Fällen grundsätzlich zunächst nichts unternommen werden.
- Ist bzw. wird die Auflösung des Unterschiedsbetrags ausgelöst, sollte ggf. gegen den entsprechenden Gewinnfeststellungsbescheid mit Rechtsbehelf vorgegangen werden, wenn der Gewinn nicht in Bezug auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Auflösung des Unterschiedsbetrags vorläufig festgestellt worden ist. Ist die Gewinnfeststellung hingegen nicht vorläufig, könnte ggf. die Aufnahme eines entsprechenden Vorläufigkeitsvermerks beantragt werden oder ein evtl. Einspruch auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Änderung gestützt werden, so dass das Verfahren dann ruht (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
Gleichwohl kann die Rückwirkung der Gesetzesanwendung im Einzelfall für den Steuerpflichtigen auch vorteilhaft sein, so z.B. wenn es um negative Unterschiedsbeträge geht, bei denen sich die Auflösung stiller Lasten steuermindernd auswirkt.