Blogbeitrag
07.03.2024

Chatgruppen sind in der heutigen Zeit der Nutzung von WhatsApp, Telegram und anderen Messenger-Diensten nicht mehr wegzudenken. Äußerungen in solchen Chatgruppen mögen zunächst als bloße Privatäußerungen unter Freunden und Kollegen erscheinen. Dass diese Vorstellung nicht in jedem Fall berechtigt ist, zeigt eine aktuelle höchstrichterliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Das Gericht hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern Äußerungen in einer solchen Chatgruppe unter Arbeitskollegen, mit u.a. stark beleidigenden Inhalten, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können.

von
Maha Steinfeld

Sachverhalt

Der klagende Arbeitnehmer war seit 1999 bei der beklagten Arbeitgeberin, zuletzt als Gruppenleiter Lagerlogistik, beschäftigt. Gemeinsam mit fünf anderen Arbeitnehmern der Beklagten war der Kläger ab 2014 Angehöriger einer Chatgruppe des Messenger-Dienstes WhatsApp. Die Gruppenmitglieder waren langjährig miteinander befreundet und zwei von ihnen waren miteinander verwandt. Der Chatgruppe gehörte vorübergehend ein weiterer Arbeitnehmer an. Der Kläger und die anderen Gruppenmitglieder nutzten die Chatgruppe sowohl für private Belange als auch zu rassistischen, beleidigenden, sexistischen und menschenverachtenden Äußerungen in Bezug auf Kollegen und Vorgesetze. Teilweise wurde in dem Chat auch zu Gewalt gegenüber diesen aufgerufen.

Im Rahmen eines Arbeitsplatzkonfliktes gelangte eine Kopie des Chatverlaufes durch das der Chatgruppe bloß vorübergehend angehörende Mitglied an den Personalleiter der Beklagten. Die Beklagte kündigte daraufhin - nach Anhörung des Klägers - das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 28.07.2021 außerordentlich fristlos, hilfsweise mit Auslauffrist zum 31.03.2022.

Hiergegen wehrte sich der Kläger mit seiner Klage vor den Arbeitsgerichten und berief sich dazu v.a. auf die grundgesetzlich geschützte vertrauliche Kommunikation. 

Entscheidung

Die Gerichte der ersten und zweiten Instanz gaben dem Arbeitnehmer Recht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war allerdings anderer Meinung. Jedenfalls bei dem Austausch beleidigender und menschenverachtender Inhalte innerhalb von Chat-Gruppen im betrieblichen Kontext dürfen sich die Teilnehmer nur ausnahmsweise auf die Vertraulichkeit der Kommunikation berufen.

Das BAG ging in der Begründung des Urteils zunächst auf die Frage ein, inwiefern sich aus datenschutzrechtlichen Regeln ein Verbot ergab, die Daten aus der Chatgruppe als Grundlage der außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers in dem Gerichtsverfahren zu nutzen. Das Gericht erkannte die Norm des Art. 6 Abs. 1 e) DSGVO als Rechtsgrundlage für die Verwendung der Daten im Prozess an. Danach sei die Datenverarbeitung erlaubt, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liege. Das sei bei der Ausübung der gerichtlichen Befugnisse durch die staatlichen Gerichte der Fall. Durch die gerichtliche Verwertung der von der Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer vorgeworfenen Äußerungen in dem Chatverlauf habe auch kein grundrechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vorgelegen. Insbesondere nahm das Gericht an, dass bei Äußerungen in einer aus sieben Personen bestehenden Chatgruppe der Arbeitnehmer offenkundig selbst nur einen begrenzten Willen zur Geheimhaltung gehabt habe. Daher ergebe sich im Ergebnis kein Verbot für das Gericht, den Chatverlauf als Sachvortrag oder Beweismittel zu verwerten.

Im weiteren Verlauf der Entscheidung ging das BAG sodann auf die Frage ein, ob die Äußerungen des Arbeitnehmers eine fristlose Kündigung rechtfertigten. Dass massive Beleidigungen und rassistische, sexistische und menschenverachtende Äußerungen grundsätzlich eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen, wurde durch das BAG eindeutig bejaht. Grundsätzlich könne aber eine „beleidigungsfreie Sphäre“ vorliegen, in der auch beleidigende Äußerungen frei geäußert werden dürften, wenn der Arbeitnehmer erwarten kann, dass seine Äußerungen nicht nach außen an Dritte gelangten („berechtigte Vertraulichkeitserwartung“).

Das Gericht kam in dem vorliegenden Fall jedoch aufgrund der Umstände, unter denen die Aussagen des Arbeitnehmers gefallen waren, zu dem Schluss, dass der Arbeitnehmer nur im Ausnahmefall darauf hätte vertrauen dürfen, dass seine Aussagen nicht weitergegeben werden. Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige in einer Chatgruppe von bis zu sieben Personen erscheine eine Weitergabe der Äußerungen aus Entrüstung, moralischen Bedenken oder Imponiergehabe zumindest nicht als fernliegend. Zusätzlich sprächen die spezifischen Eigenschaften eines Internet-Messenger-Dienstes gegen die „berechtigte Vertraulichkeitserwartung“. Zwar seien diese zumeist Ende-zu-Ende verschlüsselt, darauf komme es aber laut BAG nicht an. Maßgeblich sei die (mögliche) Weitergabe an Dritte durch die Gruppenmitglieder. Messenger-Dienste seien gerade dazu ausgelegt, Daten bzw. Nachrichten schnell und leicht kopierbar miteinander auszutauschen. Auch sei es in einer Chatgruppe - im Gegensatz zu persönlichen Gesprächen unter Arbeitskollegen - nicht möglich, etwa mittels non-verbaler Kommunikation herauszufinden, ob die anderen Gesprächspartner die Auffassung teilten, die Chatinhalte nicht an außenstehende Dritte weiterzugeben. Das Argument, dass bereits seit 2014 Nachrichten ausgetauscht worden wären, die nicht nach außen gelangt seien, wurde zudem durch das BAG abgelehnt. So fehle es für diese Zeit bereits an Feststellungen darüber, ob beleidigende Nachrichten ausgetauscht worden seien und gleichzeitig konnte - so das Gericht - zumindest ab November 2020 nach Beitritt des neuen Mitgliedes nicht mehr angenommen werden, dass die vermeintliche Absprache zur Vertraulichkeit weiter bestünde. 

Das BAG verwies den Rechtsstreit somit an die Vorinstanz zurück, die nunmehr dem Arbeitnehmer nochmals Gelegenheit geben muss, darzulegen, warum er eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte, dass nicht ein einziges Gruppenmitglied seine Äußerungen Dritten offenbart, wofür bislang - so das Gericht - nichts sprach.

Fazit

Das BAG präzisierte mit seiner Entscheidung seine Rechtsprechung zur „berechtigten Vertraulichkeitserwartung“ und äußerte sich erstmals auch zur Bewertung von Äußerungen in privaten Chatgruppen im beruflichen Kontext. Anschaulich wird durch die Entscheidung illustriert, dass die Umstände, unter denen eine Äußerung getroffen wird, die Annahme einer „beleidigungsfreien Sphäre“ stark beeinflussen kann. 

 

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2023 - 2 AZR 17/23
Der Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Fabio Althaus (stud.jur.) verfasst.

 

Über die Autorin: Maha Steinfeld ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht bei der PKF FASSELT Partnerschaft mbB Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft Rechtsanwälte (Mitgliedsunternehmen des PKF-Netzwerkes).

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