Blogbeitrag
29.11.2024

Weekly Tax Insight

In dem Urteil vom 3. Juni 2024 (I R 4/21) hatte der Bundesfinanzhof (BFH) über die deutsche Besteuerung ausländischer Betriebsstättengewinne zu entscheiden, wenn nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) die Freistellung dieser Einkünfte unter dem Vorbehalt aktiver Einkünfte i. S. d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG steht und ansonsten lediglich eine Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Steuer gewährt wird (sog. „Switch-over“). Das Urteil enthält einige wichtige Aussagen und daher lohnt sich die nähere Betrachtung.

Der Fall 

Im Jahr 2004 (Streitjahr) erbrachte eine deutsche GmbH über ihre Betriebsstätten in Rumänien und Russland Beratungsdienstleistungen. Hierzu setzte die GmbH eigenes Personal, einschließlich des (offenbar) in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Mehrheitsgesellschafters der GmbH, in den ausländischen Geschäftsräumen der GmbH ein: Dieser Mehrheitsgesellschafter der GmbH wurde also in den Betriebsstätten beratend gegenüber den Kunden tätig.

In den deutschen DBA mit Russland und Rumänien ist verankert, dass eine Freistellung ausländischer Betriebsstätteneinkünfte eines deutschen Steuerpflichtigen nur gewährt wird, wenn dieser die Bruttoerträge der Betriebsstätte nachweislich - zumindest fast ausschließlich - aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1-6 AStG fallenden Tätigkeiten bezogen hat. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 a) AStG (a.F.) handelt es sich dabei u. a. um passive Einkünfte, wenn sich eine ausländische Gesellschaft für die Erbringung von Dienstleistungen eines unbeschränkt steuerpflichtigen (direkten oder indirekten) Mehrheitsgesellschafters bedient. Das Finanzamt versagte vor diesem Hintergrund die Freistellung der ausländischen Betriebsstätteneinkünfte und das Sächsische Finanzgericht (Urteil vom 15. Dezember 2020, 1 K 1469/16) gab ihm recht. Nun hat der BFH die Entscheidung des FG bestätigt.

Die Analyse 

Die Regeln des § 8 AStG beziehen sich in Wortlaut und Kontext originär auf ausländische Kapitalgesellschaften mit anderen als aktiven Einkünften. Wenig überraschend hält der BFH aber fest, dass die erwähnten DBA-Aktivitätsklauseln so anzuwenden seien, dass als „ausländische Gesellschaft“ im Sinne dieser AStG-Regeln die ausländischen Betriebsstätten anzusehen seien.

Weiter stellte der BFH klar, dass die genannten DBA-Aktivitätsvorbehalte so auszulegen seien, dass es nicht nur auf die in § 8 Abs. 1 Nr. 1-6 AStG erwähnten Grundtätigkeiten (hier: Dienstleistungen) ankomme, sondern auch auf die jeweiligen näheren Bedingungen, unter denen diese Tätigkeiten durch § 8 Abs. 1 Nr. 1-6 AStG als aktiv bzw. passiv eingestuft werden. Somit seien in den geschilderten Konstellationen die Dienstleistungseinkünfte der Betriebsstätten passiv im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 5 a) AStG, da sich die GmbH bei der Erbringung der Dienstleistungen ihres inländischen Mehrheitsgesellschafter bedient habe. Auch diese Auslegung kann nicht überraschen. Erwähnenswert ist aber, dass der BFH seiner streng statischen Auslegung der DBA treu bleibt (vgl. z. B. BFH vom 5. Dezember 2023, I R 42/20) und somit auf die Fassungen des AStG abstellt, die bei Abschluss des jeweiligen DBA galten.

Schließlich hatte die GmbH angeführt, nach § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG (i. d. F. JStG 2010) sei dennoch die Freistellung und nicht die Anrechnung zu gewähren, wenn es sich bei den Betriebsstätteneinkünften um solche des § 8 Abs. 1 Nr. 5 a) AStG handele, zumal § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG auf alle noch offenen Fälle anwendbar sei. Der BFH weist zunächst darauf hin, dass die (rückwirkende) Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG sich dem Wortlaut nach nur auf Fälle erstrecke, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden sei, während Körperschaftsteuerfälle nicht erwähnt seien. Ob vor diesem Hintergrund § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG überhaupt potenziell auf den Urteilsfall anwendbar sei, könne aber offenbleiben, da diese Norm nur eine Rückausnahme vom innerstaatlichen Switch-over des § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG beinhalte und somit leerlaufe, wenn sich der Switch-over bereits aus dem DBA ergäbe. Der BFH entscheidet damit den zugehörigen Literaturstreit zugunsten der herrschenden Meinung.

Die Beurteilung

Die Entscheidung verdeutlicht in praktischer Hinsicht zunächst, wie schnell gerade Dienstleistungsunternehmen/-konzerne direkt oder indirekt von den Normen der Hinzurechnungsbesteuerung betroffen sein können. Jeder Einzelfall muss daher genau analysiert werden.

Mag seit 2024 auch das Risiko einer direkten Betroffenheit infolge der Absenkung der Niedrigsteuergrenze auf nunmehr 15 % deutlich gesunken sein, so bleibt doch (wie im Urteilsfall) die Gefahr der indirekten Betroffenheit von Betriebsstätteneinkünften bei DBA-Aktivitätsklauseln. 

Die Ablehnung des BFH in Bezug auf die Anwendbarkeit des § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG macht abschließend darauf aufmerksam, dass der deutsche Steuerpflichtige beim Fehlen einer (regelmäßig erst auf deutschen Wunsch hin in das DBA integrierten!) DBA-Aktivitätsklausel in Konstellationen wie im entschiedenen Fall bessergestellt wäre, wenn er in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1 AStG (unilaterales Switch-over) fiele, da dann die erwähnte Rückausnahme des § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG gälte, es somit bei der Freistellung bliebe. Wie der BFH ausführt, ist die Aufhebung dieses Wertungswiderspruchs allerdings dem Gesetzgeber vorbehalten. Es bleibt daher zu hoffen, dass dieser sich den Hinweis zu Herzen nimmt und auch in DBA-Fällen den materiellen Regelungsgehalt der Rückausnahme gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 AStG im Wege eines Treaty-overrides zur Anwendung gelangen lässt.

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