Ausgangslage
- Als Bestandteil einer US-Unternehmensgruppe stellten deutsche, organschaftlich verbundene Konzernunternehmen bis 2010 diverse Produkte her und vertrieben diese auch. Sie übten zusätzlich Funktionen der Lagerhaltung, Logistik sowie teilweise auch des Einkaufs aus.
- Die deutschen Konzernunternehmen nutzten dabei wesentliche immaterielle Werte (Patente, Designs, Marken etc., nachfolgend: IP), die bei einer US-Konzerngesellschaft lagen und von dieser sowie einer britischen Konzerngesellschaft entwickelt worden waren; über eigenes werthaltiges IP verfügten die deutschen Konzerngesellschaften nicht.
- Wesentliche strategische Entscheidungen (u.a. zu Produktportfolio, Investitionen, Produktions- und Kapazitätsplanungen) traf eine französische Konzerngesellschaft, bei welcher auch das Leitungspersonal der europäischen Gruppenteile angestellt war. Jene Gesellschaft betreute zudem Großkunden mit europaweiten Lieferverträgen und verhandelte (zusammen mit einer weiteren ausländischen Konzerngesellschaft) die Rahmenverträge für die wesentlichen in der Produktion benötigten Rohstoffe. Die Tätigkeiten der französischen Konzerngesellschaft für die übrigen Gruppengesellschaften waren als Dienstleistungen ausgestaltet, bei denen die Vergütung nach Umlageprinzipien erfolgte.
Umstrukturierung
Zum Beginn des Jahres 2011 wurde in der Unternehmensgruppe eine neue Struktur etabliert:
Eine schweizerische Konzerngesellschaft übernahm als Prinzipalgesellschaft die strategischen Entscheidungsfunktionen von der o.g. französischen Gruppengesellschaft.
Die genannte US-Konzerngesellschaft kündigte den erwähnten Lizenzvertrag mit den deutschen Konzernunternehmen zum Ende der festen Laufzeit (per 1.1.2013) und schloss einen neuen Lizenzvertrag mit der schweizerischen Gesellschaft ab. Im Gegenzug dafür, dass die deutschen Konzernunternehmen vom 1.1.2011 bis zum 1.1.2013 auf die Geltendmachung ihrer Rechte aus dem bisherigen Lizenzvertrag verzichteten, erhielten sie ein Entgelt von der schweizerischen Konzerngesellschaft, das sich anhand des Gewinnunterschieds zwischen der Situation bei Teilnahme an der Prinzipalstruktur einerseits und derjenigen bei Nichtteilnahme an der Prinzipalstruktur andererseits ermittelte.
Die deutschen Konzernunternehmen nutzten das IP ab 1.11.2011 nur noch unter Lizenzverträgen, welche sie zu diesem Zweck mit der schweizerischen Konzerngesellschaft abgeschlossen hatten. Übrigens wurden die o.g. deutschen Konzernunternehmen zu Auftragsfertigern. Bei ihnen verblieb jedoch der lokale Kundenstamm; der Vertrieb an deutsche Kunden wurde von einer deutschen Konzerngesellschaft durchgeführt, welche als Low Risk Distributor agierte.
Zusammenfassend lässt sich die Situation vor und nach der Umstrukturierung in Form folgender Schaubilder gegenüberstellen (s. Abbildung 1 und Abbildung 2).
Ansicht der Finanzverwaltung
Das Finanzamt betrachtete die Umstrukturierung als verdeckte Gewinnausschüttung im Wege einer Funktionsverlagerung und berechnete dementsprechend Transferpakete.
FG-Entscheidung und deren Beurteilung
Das FG Niedersachsen legt in seinem Urteil zunächst dar, dass die Umstrukturierung keine vGA unter dem Gesichtspunkt der Geschäftschancenlehre darstelle. Eine solche vGA setzt nach Ansicht des Gerichts neben einer eigenständigen Bewertbarkeit auch eine gewisse Marktgängigkeit und damit eine vermögenswerte Position voraus. Daran fehle es aber, weil die Umstellung des Gewinnstroms für sich keine Übertragung einer Geschäftschance darstelle. Zudem sei auch keine Übertragungen konkreter (externer) Vertragsbeziehungen ursächlich für die Gewinnveränderung, vielmehr sei schon vor der Umstrukturierung der strategische Einkauf vom Ausland aus erfolgt, die Key Accounts seien auch schon bisher durch ausländische Konzerngesellschaften betreut worden, und die deutschen (konzernexternen) Kunden würden auch nach der Umstrukturierung aus dem deutschen (Teil-)Konzern betreut.
Soweit sich das FG Niedersachsen mit der Funktionsverlagerung auseinandersetzt, gilt:
- Zunächst fällt auf, dass die Überlegungen des Gerichts z.T. bis hinab zum Wortlaut parallel zu seinen Ausführungen in seinem Urteil vom Urteil vom 16.3.2023 (10 K 310/19, Revision BFH I R 43/23) ausfallen. Dies ist insoweit zu begrüßen, als es zur Entwicklung einer verlässlichen „Prüfroutine“ beiträgt.
- Inhaltlich hält das Finanzgericht fest, dass keine Wirtschaftsgüter ins Ausland übertragen worden seien. Insbesondere stelle auch der o.g. entgeltliche Verzicht auf die Ausübung der Rechte aus dem (bis 1.1.2013) noch weiterlaufenden ursprünglichen Lizenzvertrag in Verbindung mit dem Abschluss des neuen Lizenzvertrags zwischen der US- und der schweizerischen Gesellschaft keine Übertragung von immateriellen Wirtschaftsgütern aus dem In- ins Ausland dar.
- Bemerkenswert erscheint, dass das Gericht keine expliziten Ausführungen zur (Nicht-)Existenz bzw. zumindest zum (Nicht-)Übertragung eventueller „sonstigen Vorteile“ trifft. Da das Gericht (in der Urteilsbegründung unter 2.c) ausführt, es fehle (jedenfalls) „an der kausalen [wohl gemeint: finalen - Ergänzung des Verfassers] Verknüpfung der Überlassung von Wirtschaftsgütern und/oder sonstigen Vorteilen mit der Möglichkeit Ausübung der Funktion“, kam es hierauf aber auch im Ergebnis gar nicht mehr an. Gleichwohl könnte aus diesem (im Übrigen auch im o.g. Urteil vom 16.3.2023 verwendeten) Wortlaut ggf. abgeleitet werden, dass das FG Niedersachsen unter dem bis 2021 geltenden Recht nicht der überwiegenden Literaturauffassung folgt, nach welcher für eine Funktionsverlagerung sowohl Wirtschaftsgüter als auch sonstige Vorteile übergehen müssen. Für die seit 2022 geltende Rechtslage ist diese Diskussion infolge der Anpassung des Gesetzeswortlauts (siehe oben: Ersetzung des bisherigen „und“ durch ein eindeutiges „oder“) ohnehin nicht mehr einschlägig; sie lässt jedoch im Hinblick auf die Beurteilung von länger zurückliegenden Vorgängen aufhorchen.
Da gegen das analysierte FG-Urteil Revision beim BFH eingelegt wurde (Az.: I R 54/23), wird die weitere Entwicklung der BFH-Rechtsprechung zur Funktionsverlagerung mit Spannung zu erwarten sein, zumal wie erwähnt auch gegen das Urteil des FG Niedersachsen vom 16.3.2023 die Revision anhängig ist.