Das von der OECD initiierte ICAP (zu weiteren Informationen vgl. hier) verfolgt das Ziel, durch die fundierte, zielgerichtete und effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen einen schnellen und klaren Weg zu multilateraler Planungssicherheit im Besteuerungsverfahren zu bieten. Mithilfe des freiwilligen und auf die Kooperation von Konzern und Steuerverwaltungen ausgelegten Verfahrens soll es im Ergebnis zu einer Verringerung der Fälle kommen, die sonst z.B. in einem zeit- und arbeitsaufwändigen Verständigungsverfahren gelöst werden müssten. Im Übrigen gilt:
- Anwendungsbereich: Nach deutschem Recht kann ein internationales Risikobewertungsverfahren nur für bereits verwirklichte Sachverhalte erfolgen. Ist einem Steuerpflichtigen an einer Vorabklärung mit den Steuerbehörden gelegen, muss er demnach z.B. auf Vorabverständigungsverfahren (sog. Advance Pricing Agreements - APAs - vgl. hier zu aktuellen Entwicklungen auf diesem Gebiet).
- Antragsberechtigter Steuerpflichtiger: Ein Steuerpflichtiger kann nach deutschem Recht den Antrag auf Einleitung eines internationalen Risikobewertungsverfahrens stellen, wenn es sich bei ihm um eine inländische, zur Erstellung eines länderbezogenen Berichts (Contry by Country Report - CbCR) verpflichtete oberste Gruppengesellschaft oder um eine inländische beherrschende und zur Erstellung einer Stammdokumentation (Master File) verpflichtete Gesellschaft einer multinationalen Unternehmensgruppe handelt. Aufgrund der hierfür einschlägigen Grenzen von 750 Mio. EUR konsolidierten Umsatzes (CbCR) bzw. 100 Mio. unkonsolidierten Umsatzes (Master File) werden von dem Verfahren insoweit lediglich große Gruppen bzw. Gesellschaften begünstigt. Das ICAP bezieht sich sogar eng auf das CbCR und steht daher grundsätzlich nur davon betroffenen Steuerpflichtigen offen.
- Vorbereitende Kommunikation: Bevor ein Steuerpflichtiger einen formellen Antrag auf Einleitung eines Risikobewertungsverfahrens stellt, empfiehlt das BZSt die Kontaktaufnahme mit dem für den potenziellen Antragsteller örtlich zuständigen Finanzamt.
- Antrag: Wird der Antrag auf Teilnahme an einem internationalen Risikobewertungsverfahren gestellt, so hat der Steuerpflichtige insbesondere alle Unterlagen beizufügen, welche für die Prüfung der Frage notwendig sind, ob das jeweilige Risikobewertungsverfahren in Frage kommt. Weiter muss im Antrag zugesichert werden, alle Mitwirkungspflichten zu erfüllen, und zudem muss der Steuerpflichtige u.a. in den umfangreichen internationalen Daten- und Informationsaustausch im Rahmen der erwähnten Verfahren einwilligen.
- Entscheidung der inländischen Finanzverwaltung über den Antrag: Der Antrag ist von der deutschen Finanzverwaltung abzulehnen, wenn auf der Grundlage bestehender Erfahrungen oder auf Grund der im Zusammenhang mit dem Antrag gemachten Angaben/eingereichten Unterlagen nicht zu erwarte ist, dass das Verfahren zeitnah, kooperativ, wirtschaftlich und mit einer Einschätzung der Risiken abgeschlossen werden kann. Hierzu enthält § 89b AO eine nicht abschließende Aufzählung einzelner Anwendungsfälle, so z.B. dass ein Risikobewertungsverfahren ausgeschlossen sein soll, wenn innerhalb der letzten fünf Jahre Steuererklärungen, länderbezogene Berichte oder Master Files nicht oder verspätet abgegeben wurden. Deutlich wird somit, dass faktisch nur steuergesetzestreue Steuerpflichtige von den möglichen Vorteilen eines internationalen Risikobewertungsverfahrens profitieren sollen.
- Phase 1 - Auswahl: Verfolgt die Steuerverwaltung den Antrag weiter, so wird im Rahmen des ICAP zunächst festgestellt, welche ausländischen Steuerverwaltungen ebenfalls zur Teilnahme bereit sind. Dabei besteht für die beteiligten Steuerverwaltungen die Möglichkeit, auf Basis einer vom Konzern vorgelegten überschlägigen Zusammenstellung zu den grenzüberschreitenden konzerninternen Transaktionen (sog. Auswahl-Dokumentationspaket) bestimmte Geschäftsbeziehungen aus dem weiteren Verfahren auszuschließen. Weiter wird in dieser Phase festgelegt, welche der beteiligten Steuerverwaltungen die Leitung des ICAP übernimmt, und wie das Verfahren zeitlich ablaufen soll. Der Steuerpflichtige wird über die Ergebnisse in Kenntnis gesetzt, sodass er dann darüber entscheiden kann, ob er das Verfahren unter diesen Rahmenbedingungen fortsetzen möchte.
- Phase 2 - Risikobewertung und Problemlösung: Auf der Grundlage weiterer vom Konzern zur Verfügung gestellter Unterlagen (Haupt-Dokumentationspaket) stimmen sich dann die beteiligten Finanzverwaltungen ab und entscheiden, ob sie die steuerlichen Risiken der analysierten Geschäftsbeziehungen als so niedrig einstufen können, dass voraussichtlich innerhalb eines bestimmten Zeitraums keine weiteren Prüfungen nötig werden. Werden die Risiken einer Geschäftsbeziehung nicht in diesem Sinn als niedrig eingestuft, können die Finanzverwaltungen - auch in Abstimmung mit dem Konzern - Lösungen suchen, aufgrund derer die Geschäftsbeziehung doch noch übereinstimmend als risikoarm zu klassifizieren ist.
- Phase 3 - Ergebnisse: Die LTA teilt dem Konzern im ICAP die Beendigung des Verfahrens mit; zudem informieren alle Steuerverwaltungen den Konzern auch über das Ergebnis der Risikobewertung, das deutsche Steuerrecht sieht zudem die Erstellung und Übersendung eines Risikobewertungsberichts vor. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die deutsche Steuerverwaltung das Ergebnis des Risikobewertungsverfahrens wie auch weitere bei dessen Durchführung erlangte Erkenntnisse bei der Bestimmung des sachlichen Umfangs einer steuerlichen Betriebsprüfung berücksichtigen kann und soll.
Beurteilung
Wenngleich das ICAP von verschiedenen Staaten bereits in jahrelangen Pilotphasen getestet wurde, ist die praktische Erfahrung mit diesem Verfahren bislang begrenzt (vgl. die Auswertung der OECD hier). Dennoch ist festzuhalten:
- Aus Sicht der teilnehmenden Steuerpflichtigen ist zu beachten, dass mit einem Risikobewertungsverfahren anders als z.B. mit Verständigungs-/Schiedsverfahren keine vollständige Rechtssicherheit, sondern nur ein beschränkter Grad an Planungssicherheit („Comfort“) erreicht wird.
- Das Verfahren ist zudem faktisch auf Geschäftsbeziehungen gerichtet, die von den beteiligten Finanzverwaltungen übereinstimmend als risikoarm eingestuft werden. Für andere Geschäftsbeziehungen muss deshalb ggf. auf die anderen einschlägigen Instrumente zurückgegriffen werden.
- Nach den Erfahrungen aus der Pilotphase ist ein Risikobewertungsverfahren mit einer Vielzahl teilnehmender Staaten ggf. wenig erfolgversprechend, da der Koordinationsaufwand dann stark ansteigt. Als Faustregel könnte hier evtl. eine Obergrenze bei ca. fünf bis acht beteiligten Staaten angenommen werden.
- Trotz dieser Einschränkungen kann das Verfahren dennoch im Rahmen des Verrechnungspreismanagements internationaler Konzerne einen attraktiven Baustein zur Reduzierung von Rechtsbefolgungskosten, zur Verminderung von Doppelbesteuerungsrisiken sowie zur Verbesserung der Beziehungen zu den Finanzbehörden darstellen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Schnelligkeit des Verfahrens, da zwischen dem Eingang des sog. Auswahl-Dokumentationspakets bei der leitenden Steuerverwaltung bis zum Abschluss der Ergebnisphase im Regelfall nicht mehr als ein Jahr vergehen sollen und in der Pilotphase diese Gesamtdauer trotz Corona-Einflüssen im Mittel um nur rund zwei Monate überschritten wurde.
- Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich innerhalb der EU ein in vielen Aspekten mit dem ICAP vergleichbares Konzept (European Trust and Cooperation Approach - ETACA - vgl. zu weiterführenden Informationen hier) in der Entwicklung befindet und spätestens Anfang 2025 in eine zweite Pilotphase gehen soll. Der Fokus wird beim ETACA auf Routine-Transaktionen liegen; die Teilnehmer können die Anwendung im Einzelfall jedoch auch auf andere Geschäftsbeziehungen ausweiten.