In zwei inhaltsgleichen Urteilen vom 19.6.2024 (II R 40/21 und II R 41/21) hat der BFH festgelegt: Haben Gesellschafter einer GmbH wirksam gesellschafterbezogene Zuordnung von Leistungen in die Kapitalrücklage vereinbart, wird jedoch die Kapitalrücklage im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung abweichend hiervon allen Gesellschaftern entsprechend ihren Beteiligungsquoten zugerechnet, kann der Verzicht auf einen angemessenen Wertausgleich durch den Gesellschafter, der die Leistungen erbracht hat, eine freigebige Zuwendung zugunsten der Mitgesellschafter darstellen.
Der Fall
Ein Vater und seine zwei Söhne waren zu je einem Drittel am Gesellschaftsvermögen der GmbH beteiligt. Sie beschlossen, dass "insbesondere bei disquotalen Einlagen jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklagen bleibt, die Kapitalrücklagen also nicht im Verhältnis der Beteiligungen zu je 1/3 den Gesellschaftern zugerechnet werden".
Im Jahr 2006 und in den folgenden Jahren zahlte V mehrere Bar- und Sachbeiträge an die GmbH. Diese wurden zunächst teilweise auf dem Gesellschafter-Verrechnungskonto verbucht, später jedoch aufgrund entsprechender Gesellschafterbeschlüsse, die jeweils von zwei Gesellschaftern unterzeichnet wurden, als "Kapitalrücklage Vater" in die Kapitalrücklage der GmbH umgebucht.
Im Jahr 2012 beschlossen die Gesellschafter eine erhebliche Erhöhung des Stammkapitals der GmbH. Der Vater verzichtete auf seine Teilnahme an der Kapitalerhöhung, und die Kapitalrücklage wurde gleichmäßig auf alle Gesellschafter verteilt. Wegen des Verzichts sank die Beteiligungsquote des Vaters am Gesellschaftsvermögen auf rd. 1,6 %.
Das Finanzamt hielt den Wertverlust des Vaters durch den Verzicht auf die Teilnahme an der Kapitalerhöhung für nicht ausreichend ausgeglichen und betrachtete dies als eine gemischte Schenkung an seine Söhne. Hiergegen wandte sich die Familie.
Die BFH-Entscheidung
Während das FG Baden-Württemberg am 24.6.2020 (7 K 2352/17) noch zugunsten der Familie entschieden hatte, gab der BFH in der Revision dem Finanzamt recht. Nach Auffassung des BFH gilt
Der Gesellschafter hat grundsätzlich keinen direkten Anspruch auf die Kapitalrücklage. Die Einzahlung in die Kapitalrücklage kann üblicherweise in zwei Schritte unterteilt werden:
Zuführung von Kapital: Der Gesellschafter bringt Kapital in die Gesellschaft ein, was zunächst das Verhältnis zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft betrifft.
Einstellung in die Kapitalrücklage: Die Gesellschaft selbst entscheidet, diesen Betrag in ihre Kapitalrücklage einzustellen. Das ist ein internes Verfahren innerhalb der Gesellschaft und betrifft nicht mehr direkt das Verhältnis zum Gesellschafter.
Wenn es aber nach der Satzung der GmbH möglich ist und von den Gesellschaftern ein entsprechender Beschluss gefasst wird, kann geregelt werden, dass nur der Gesellschafter von den eingezahlten Beträgen profitiert, der die Leistung ursprünglich erbracht hat (sog. „Vereinbarung entsprechender disquotaler Rückzahlungsansprüche in Bezug auf die Kapitalrücklage“). Diese Regelung weicht von der Beteiligungsquote ab und bedeutet, dass nicht alle Gesellschafter gleichmäßig profitieren. Wenn nun der V im Zusammenhang mit Der Kapitalerhöhung auf seinen Anspruch aus einer solchen Vereinbarung verzichtet, bewirkt er eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG im Verhältnis zu seinen Söhnen:
Die Kapitalrücklage wurde trotz abweichender Beschlussfassung auch auf andere Gesellschafter verteilt, ohne dass diese hierfür einen entsprechenden Ausgleich gegenüber dem Vater wegen der Wertminderung seines Anteils aufgrund der Kapitalerhöhung zu leisten hatten. Hierin liegt ein vermögenswerter Vorteil, um den die Söhne bereichert worden sind. Soweit der Vater auf einen vollen Ausgleich der bei ihm eingetretenen Wertminderung verzichtet hat, ist bei ihm eine entsprechende Vermögensminderung eingetreten.
Auch das subjektive Erfordernis einer freigebigen Zuwendung, nämlich der Wille des Vaters zur Freigebigkeit, ist erfüllt. Der Vater war sich bewusst, dass bei der Berechnung der von den Söhnen zu leistenden Zahlungen die Kapitalrücklagen den GmbH-Gesellschaftern entsprechend ihrem Anteil zugerechnet wurde, obwohl die Gesellschafter. im Jahr 2006 beschlossen hatten, dass jeder Gesellschafter Eigentümer seines Anteils bleibt. Die vom Vater unterzeichnete Berechnung über seinen Wertverlust zeigte, dass die Ausgleichszahlung der Söhne diesen Wertverlust nur teilweise ausgleichen würde. Dieses Wissen reichte aus um anzunehmen, dass der Vater sich der (Teil)Unentgeltlichkeit der Zuwendung bewusst war.
Unsere Beurteilung
§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bildet den Grundtatbestand für die Schenkungsteuer. Nach dieser Vorschrift gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Dieser Tatbestand wird auch durch den Verzicht auf eine Forderung erfüllt. Im vorliegenden Fall, ebenso wie im Parallelfall II R 41/21, hat daher der BFH entschieden, dass der Verzicht des Vaters auf seine Ausgleichsforderung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG eine schenkungsteuerpflichtige Handlung nämlich freigebige Zuwendung darstellt.